Horbachkanzel bei Ludwigswinkel-Schöntal

(Geschrieben ca. 2008 - Überarbeitet 2018)

 

 

Oberhalb des Schöntalweihers bei Ludwigswinkel liegt im Wald ein romantischer, begehbarer Aussichtsfelsen, die Horbachkanzel.   


Geodaten:

N  49°  5,553´     O  7°  39,713´      Höhe: 283 m

 


Der Riese von der Horbachkanzel 

Vor vielen hundert Jahren lebte im Wald bei Ludwigswinkel ein Riese. Tagsüber streifte er durch das Horbachtal und jagte. Abends aber, wenn er müde war, setzte er sich auf einen haushohen Felsenturm und schaute hinunter zum Schöntalsee.  Lustig, wie dort die Schwäne und Enten herumwatschelten! Und besonders lustig, wie sich diese hässlichen Menschlein bewegten! Igittigitt, wie winzig die waren, und wie sie wuselten, genau wie Ameisen! Richtig eklig! Nein, Menschen konnte man als Riese nicht ertragen!


 


Schon oft hatte er einen Felsbrocken nach ihnen geworfen. Doch leider hatte er nie getroffen. Die Leute starrten jedes Mal entsetzt zu ihm herauf und rannten dann in Panik davon. Er aber lachte nur dröhnend und warf noch einen Stein hinter ihnen her. Diese schwachen kleinen Kerlchen sollten ihn kennen lernen!   

 


Einmal aber sah er ein wunderschönes Mädchen. Oh, die war niedlich! Dem Riesen wurde ganz warm ums Herz. So ein hübsches Gesicht mit so einem lieben Lächeln hatte er noch nie gesehen! Und wie golden ihr blondes Haar glänzte!

Am anderen Tag setzte er sich früher als sonst auf seinen Aussichtsfelsen. Er wartete auf das Mädchen. Dort kam es auch schon! Und wieder leuchtete sein langes Haar wie Gold in der Abendsonne! 



Dem Riesen fielen fast die Augen aus dem Kopf. Gierig starrte er hinunter. So etwas Schönes hatte er noch nie gesehen. Das wollte er haben! Ja, dieses niedliche Ding da unten, das musste er einfach haben! Unbedingt und um jeden Preis! 

Am nächsten Tag schlich er sich an den Weiher und fing eine Ente. Die band er mit einer langen Schnur oben auf seinem Felsen an einen Busch und hielt sie fest. Als er das Mädchen unten an den See treten sah, ließ er den Vogel fliegen. Die arme Ente aber kam wegen der Schnur nicht weit. Sie stürzte ab und baumelte schnatternd am Faden. Verzweifelt flatterte sie hin und her und schrie in ihrer Not immer lauter und lauter: „Quak-quak! Quak-quak - quaak!“. Das Mädchen stutzte und schaute nach oben. Ach je, eine Ente in Not! Hilfsbereit, wie sie war, lief sie schnell den Berg hinauf, um dem armen Tier zu helfen. 

Da trat der Riese hervor und packte sie. Mit eisernen Fäusten hielt er sie fest. Voll lustvoller Gier betrachtete er seinen Fang. Das Mädchen aber war so erschrocken, dass es wie versteinert dastand. Der Riese flüsterte: „Du bist das Schönste, was ich je gesehen habe. Deine Haare sind wie Gold, und deine Haut ist so zart wie ein Pfirsich. Komm, ich baue dir oben auf dem Felsenturm eine Hütte. Dort bleibst du, so lange ich jage. Und wenn ich nach Hause komme, spielen wir zusammen schöne Spiele.“ Er flüsterte zwar, aber seine Stimme klang drohend und rau wie Donnergrollen. Das Mädchen stotterte entsetzt: „Nein, nein, ich mag nicht! Ich will bei meinen Eltern bleiben!“ Da wurde der Riese wütend: „Sei ruhig! Du gehörst jetzt mir allein!“ Er rollte böse die Augen und hob seine Hand, um sie zu schlagen.


 

In diesem Moment wachte das Mädchen aus seiner Erstarrung auf. Es  duckte sich blitzschnell und kroch unter seinem Arm hindurch. Dann rannte es, so schnell es konnte, den Berg hinunter nach Hause. 
 


Der Riese aber war viel zu groß und zu plump, um durch die Bäume hinterher rennen zu können. So fuchtelte er nur hilflos und wütend mit seinen Armen in der Luft herum und stieß wilde Flüche aus. Dabei riss er den Faden durch, an dem die Ente hing. Die flog sofort schnatternd davon. Das machte den Riesen noch ärgerlicher. Er wurde vor Wut ganz rot. Schnaufend packte er den Felsenturm und fing an zu rütteln. Der Stein knirschte und erbebte. Ein dumpfes Grollen durchzog das Tal. Er rüttelte stärker. Nun fing es an zu donnern. Er rüttelte noch stärker. Das Donnern wurde drohender und drohender und brüllender und brüllender. Aber auch das war nicht genug. Er rüttelte so stark, bis der ganze Turm zu schwanken anfing und plötzlich mit Donnergetöse in der Mitte durchbrach. Einen Moment lang stand der Riese verblüfft still. Dann stürzten polternd und dröhnend die riesigen Felsentrümmer auf ihn herab und begruben ihn. In wenigen Augenblicken war er tot und wurde vom Geröll bedeckt.

 


Die Menschen hatten sich entsetzt in ihren Häusern versteckt. Sie glaubten an ein Erdbeben. Aber als schließlich alles ruhig blieb, wagten sie sich wieder hervor. Da sahen sie den abgebrochenen Felsenturm. Er war plötzlich nur noch halb so hoch wie vorher. Und tief unten an seinem Fuß lag ein riesiger Haufen Geröll und Steine.

Zitternd erzählte ihnen das Mädchen, was passiert war. Und schreckensbleich hörten die Menschen zu. Dann aber wurde ihnen bewusst, dass die Gefahr vorbei war. Der Riese war tot und würde sie nie mehr bedrohen! Was für eine Erleichterung und Freude!

 


Am nächsten Tag kletterte der Pfarrer oben auf den Felsen und dankte zusammen mit allen Einwohnern für die Errettung vor diesem bösartigen Riesen. Er betete für alle Menschen im Schöntal, besonders aber für das mutige junge Mädchen. Der Pfarrer stand auf dem Felsen wie sonntags in seiner Kirche auf der Kanzel und predigte und predigte… Seit dieser Zeit heißt der Felsen über dem Horbachtal Horbachkanzel. 



Schließlich aber musste der Pfarrer doch aufhören mit seiner Predigt und  hinabsteigen. Denn die Musik setzte ein. Der Duft von gebratenen Würsten und anderen Köstlichkeiten zog durch das Tal. Die Menschen feierten,  lachten, sangen und tanzten und konnten ihr Glück gar nicht fassen.