Die Zwergenschlösser

bei Fischbach und Ludwigswinkel
(Geschrieben 2018)

 

Geodaten:

 Altes Zwergenschloss bei Fischbach:  N 49° 5,754`  O 7° 41,163´

 Hohlweg: N 49° 5,693´  O7° 40,886´

 Neues Zwergenschloss bei Ludwigswinkel:

 

 

Tief im Wald bei Fischbach lebten einst freundliche Zwerge. Sie hatten lange, weiße Bärte und rote Zipfelmützen. Dazu trugen sie grüne Jacken und Hosen. Den ganzen Tag arbeiteten sie im Wald und machten Holz. Sie sägten und hackten. Sie spalteten und füllten ihre Körbe. Dann schleppten sie die Holzstücke in die umliegenden Dörfer, wo sie sie verkauften. Aber manchmal, wenn ein altes Mütterchen kam oder eine Familie mit vielen Kindern, die sich das Holz nicht leisten konnten, verschenkten sie ihre ganzen Körbe voll. Die Zwerge waren nicht nur fleißige, kleine Männlein. Sie waren auch herzensgute, hilfsbereite Leutchen. Alle mochten sie gern.
 
In den ersten paar hundert Jahren wohnten sie in Höhlen im Fels oder in der Erde. Doch eines Tages schenkten die Dorfbewohner ihren kleinen Freunden Steine. Viele Steine. Ganz viele Steine. Die Zwerge waren außer sich vor Freude und bauten sich im Wald ein Haus. Das nannten sie ihr Zwergenschloss. Es hatte ein hohes, spitzes Dach und war so groß, dass alle Zwerglein darin wohnen konnten.
Ihr Wohnzimmer und ihr Schlafzimmer bauten sie in die Erde hinein. So waren sie geschützt und hatten es im Winter schön warm. Ihr Dach aber schaute oben heraus und zeigte: Hier steht ein wunderschönes Zwergenschloss für ganz besonders nette und hilfsbereite Zwerge.
Alle waren glücklich.
 
Eines Tages aber tat es einen Schlag. Nein, es klopfte nicht an der Tür. Es tat einen lauten Schlag, dann noch einen und noch einen. Erschrocken schauten die Zwerglein hinaus.
Da stand vor der Tür die böse Fee Kunigunde. Sie sah zwar wunderschön aus, so schön wie jede Fee. Aber sie hatte ein schwarzes Kleid an, schwarze Haare, glitzernden schwarzen Schmuck und ein schwarzes Krönchen auf dem Kopf. In der Hand hielt sie ihren Feen-Zauberstab. Auch der war schwarz. Das Schlimmste aber war, dass sie genauso böse und schwarz guckte, wie sie aussah. Sie schaute auf die Zwerge herab und meinte: “Hallo, ihr Winzlinge, hübsch habt ihr es hier. Euer Schloss würde mir auch gefallen. Macht, dass ihr wegkommt. Ab morgen wohne ich hier!”
 
Den Zwerglein blieb vor Schreck das Herz stehen. Sie erklärten der bösen Fee, dass sie das Haus selbst gebaut hätten. So viel Mühe hatte es ihnen gemacht. Es gehörte ihnen doch. Aber die Fee zückte nur drohend ihren Zauberstab: “Wenn ihr nicht freiwillig geht, dann...” Die Zwerglein fielen auf die Knie. Sie bettelten und baten. Aber es nützte nichts. Die Fee wurde nur immer ärgerlicher und böser.
Schließlich meinte das älteste Zwerglein: “Die Steine für unser Schloss haben uns die Menschen geschenkt, weil wir ihnen so oft geholfen haben. Wenn sie merken, dass du uns unser Haus weggenommen hast und jetzt hier wohnst, werden sie kommen und dich verjagen.”
Die böse Fee stutzte. “Jetzt haben wir fast gewonnen,” dachten die Zwerglein. Aber sie täuschten sich.
 
Erst lief die Fee vor Wut ganz rot an. Dann bekam ihr Gesicht eine schwarze Farbe und sie rief mit irrer, wütender Stimme: “Wenn das so ist, soll überhaupt keiner mehr in diesem Schloss wohnen. Hokus, pokus, dreimal Kunigunde, du blödes Schloss, jetzt zerstöre ich dich!” Damit berührte sie das Dach mit ihrem Zauberstab. Es tat einen lauten, lauten Knall. Dreck und Staub wirbelten durch die Luft. Es war wie nach einer riesigen Explosion. Dann war alles still. Totenstill. Die böse Fee war verschwunden.
Die Zwerglein husteten und rieben sich den Staub aus den Augen. Ihre weißen Bärte und roten Zipfelmützen waren vor Dreck ganz grau. Und ihre Gesichter wurden vor Schreck auch grau. Denn dort, wo ihr schönes Schloss einmal gestanden hatte, war jetzt... nur noch... nur noch ein halbes Dach zu sehen. Die Wohnräume waren kaputt und in der Erde verschwunden. Nur von dem großen, schönen Schlossdach stand noch eine Hälfte da.



Verzweifelt weinten die Zwerglein. Dieses Schloss konnte niemand mehr aufbauen. Es war nur noch eine Ruine, ein Stück alter Felsen. Darin konnte keiner mehr wohnen.
Und sie wollten auch nicht mehr hier wohnen. Denn dann käme die böse Fee Kunigunde sicher erneut und würde wieder alles kaputt machen.
 
Das Unglück der armen Zwerge rührte die Menschen. So kam es, dass die Leute aus Ludwigswinkel zu Hilfe eilten: “Am Großen Höchst hinter Schöntal haben wir einen neuen Platz für euch. Dorthin haben wir einen Haufen Steine gefahren. Jetzt könnt ihr euch ein neues Schloss bauen. Denn dort hat die böse Fee Kunigunde keine Macht mehr. Da seid ihr in Sicherheit.”
 
Also wischten die Zwerglein ihre Tränen ab und dankten den Leuten aus Ludwigswinkel. Dann suchten sie alles zusammen, was sie noch hatten, packten es in ihre Körbe und machten sich auf den Weg. Noch einmal drehten sie sich zu ihrem früheren Zwergenschloss um. “Ade, ade, bleib stehen, du liebes, halbes Dach. Bleib stehen und erinnere für alle Zeiten die Menschen daran, wie gut und hilfsbereit sie oft sind.”

 


Ihr Weg führte sie ein letztes Mal durch den alten Hohlweg ins Tal hinab. Wie oft waren sie hier mit ihren Holzkörben nach Fischbach gelaufen! In den vielen hundert Jahren hatten sie den Weg richtig tief ausgetreten.

 


Den Zwergen war es schwer ums Herz. Aber je weiter sie in ihre neue Heimat wanderten, umso leichter wurde ihnen. Nun würden sie sich ein neues Schloss bauen. Und keine böse Fee Kunigunde konnte ihnen jemals wieder etwas Schlimmes antun.
 
Der Weg auf die Große Höchst war steil. Mannomann, waren ihre Körbe schwer und ihre Beinchen müde! Aber plötzlich entdeckten sie den Haufen Steine, den ihnen die Menschen hier herauf gefahren hatten. Welche Freude!
In den nächsten Wochen und Monaten bauten sie und bauten. Zum Glück war es Sommer und sie kamen gut voran. Am Schluss ragte wieder das Dach eines Zwergenschlosses aus dem Boden. Es war so groß wie das alte und genauso schön.

 


Aber sie hatten es ein Stückchen weiter weg vom Weg gebaut und auch etwas versteckter. So kommt es, dass das neue Zwergenschloss immer noch steht. Und auch heute noch leben dort gute und hilfsbereite Zwerge. Aber sie kommen nicht mehr zum Holzverkaufen ins Dorf. Denn die Menschen brauchen die Zwerge nicht mehr. Heute gibt es fast in jedem Haus eine Heizung. Und für ihre Öfen machen die Menschen ihr Holz gern selbst. Das hält fit und gesund.
 
Aber wenn sich einer der Menschen im Wald verlaufen hat und im Dunkeln herumirrt, so braucht er keine Angst zu haben. Er ruft einfach: “Ihr lieben Zwerglein, kommt doch bitte und zeigt mir den Weg!”
 
Dann hört man im Dunkeln ein leises Murmeln und Tappen. Kleine Schatten erscheinen. Vorneweg wackelt der älteste Zwerg mit einer Laterne. Er leuchtet dem verirrten Menschen so lange den Weg, bis dieser wieder weiß, wo er ist.
Dann aber sind die Zwerglein mit einem Schlag verschwunden. Der Wald scheint wieder still und leer. Allein die Eulen rufen und die Rehe rascheln im Laub.
Und nur wenn man ganz leise ist, hört man in der Ferne die Zwerglein zufrieden kichern.

 


Diese Geschichte widme ich Christel Vieten.                  5.8.2ü18