Königsbruch bei Fischbach

(Geschrieben ca. 2008 - Überarbeitet 2018)

 

In den nassen Wiesen und Sümpfen rund um Fischbach und Ludwigswinkel wächst ein besonderes Sumpfgras, die Rispen-Segge. Ganz anders als normales Gras bildet es riesige, struwwelige Polster. 
 

 
Sumpfgnome 

In diesen dicken Grasbüscheln verstecken sich tagsüber die Sumpfgnome.
 


Manchmal, wenn wir Menschen ganz genau hinschauen, sehen wir eine lustige, braune Knollennase oder ein halb verdecktes Glubschauge. Verschlafen blinzelt der Gnom durch die Halme. Wenn er aber einen von uns entdeckt, schließt er blitzschnell die Augen. Dann sind nur noch die Grashalme zu sehen. Sumpfgnome mögen nämlich nicht von uns Menschen angeschaut werden. Sie möchten ihre Ruhe haben. Nur Kindern zeigen sie sich etwas länger. Denn denen glaubt ja sowieso niemand, dass dort ein Sumpfgnom sitzt. „Jaa, jaa,“ sagen die Erwachsenen, „deine blühende Fantasie möchte ich auch haben!“ Dann grinst der Sumpfgnom so breit, dass er seinen Grasbüschel verschlucken könnte, und zwinkert dem Kind noch einmal zu. Und aus dem Sumpf ertönt ein fröhliches, gurgelndes Lachen. 

Die jungen Sumpfgnome sind frecher. Sie foppen uns Menschen gern, besonders die erwachsenen, die sich immer so klug vorkommen. Wenn Familien in ihrer Nähe spazieren gehen, hüpfen sie plötzlich hoch und springen mitsamt ihrem Grasbüschel ein Stückchen zur Seite. Hops! Und noch einmal, hops-hops! Und dabei grinsen sie frech durch die Halme. Die Kinder schreien: „Da! Da! Dieser Grasbüschel ist gerade weiter gesprungen! Guckt mal, der hat ein Gesicht!“ Die Gnome aber ducken sich ganz schnell, machen die Augen zu und sehen wieder aus wie ganz normale Rispen-Seggen-Büschel. Und die Erwachsenen gucken dumm und haben mal wieder nichts gesehen. 

Sumpfgnome schauen ulkig aus. Sie leben ja in moorigen Sümpfen und haben entsprechend große, flache Füße mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Sonst würden sie einsinken. Über ihren kurzen Beinchen wölbt sich ein dicker, brauner Bauch und ein weit ausladendes, schlammiges Hinterteil. So ein Sumpfgnom muss schließlich lange reglos sitzen können und darf dabei nicht einsinken. Sein Gesicht ist wulstig und faltig und dreckverschmiert. Alle Sumpfgnome haben lustige, gutmütige Augen. Sie spielen gern Streiche, sind aber nie bösartig. Statt Haare haben sie braune Zotteln wie Grashalme.

Sobald sich die Sumpfgnome ducken, sind sie nicht mehr zu sehen. Sie können sich also nicht wirklich unsichtbar machen, so wie Elfen oder Zwerge. Aber sie können sich gut verstecken. 

„Vor uns nicht!“ dachten sich zwei freche Jungen aus Ludwigswinkel. Sie holten sich lange Stangen und zogen damit los. Im Tal um den Reißlerhof würden sie bestimmt einen Sumpfgnom aufstöbern. Vielleicht ja sogar fangen! Und den würden sie dann in der Schule vorführen. Hähä, das gäbe einen Spaß!    

 


Leider standen die Seggen-Büschel viel zu weit vom Weg entfernt. Die Jungen mussten in die nasse Wiese. Bäh, wie schnell sie einsanken! Wie eklig der Schlamm von oben in die Schuhe lief! Schon spürten sie die braune Brühe zwischen den Zehen. Aber sie stocherten und stocherten in jeden erreichbaren Grasbüschel. Irgendwo musste doch so ein blöder Gnom stecken!

Nichts rührte sich.

Doch da! Hatte sich da vorn in dem Riesenbüschel nicht etwas bewegt? Klar, in dem muss einer sitzen! Aber ob der Sumpf außen herum auch tragen würde?

Der mutige Tim spannt die Muskeln an, macht einen Riesensatz, springt oben auf den Grasbüschel und krallt sich fest: „Jetzt hab ich dich! Du entwischst mir nicht mehr!“

Doch nein, der Büschel duckt sich ganz plötzlich zur Seite, und der Junge fällt der Länge nach in den glitschigen, kalten Sumpf. Zu seinem Schreck kann er nicht mehr aufstehen. Der schwarze Matsch hält ihn fest wie Moor. Ob man in dieser nassen Pampe wohl versinken kann? Tim kriegt entsetzliche Angst und schreit jämmerlich: „Hi-Hi-Hi-Hilfe!“. Aber um ihn herum gurgelt und lacht es nur. Aus allen Büscheln quillt das schadenfrohe Gelächter. Es kichert und gluckert und will kein Ende nehmen.

 


Hätte ihm sein Freund nicht  eine Stange hingehalten und ihn heraus gezogen, wer weiß, was aus ihm geworden wäre! 

Wenn wir heute an windstillen Tagen im Tal beim Reißlerhof spazieren gehen, brauchen wir nur ganz leise zu sein und die Ohren zu spitzen. Dann hören wir aus den Seggengrasbüscheln ein fröhliches Gurgeln und Glucksen. Ja, sie lachen immer noch, die Sumpfgnome.