Lindelskopf zwischen Fischbach und Ludwigswinkel
 (Der Text wurde ca. 2005 geschrieben- Überarbeitet 2018.)


Wenn man durch den freundlichen Ort Ludwigswinkel spaziert, sieht man auf der anderen Talseite einen kegelförmigen Berg mit einem breiten Felsen obenauf, den Lindelskopf. Dieser Felsen ist begehbar und bietet eine herrliche Aussicht über die malerische Landschaft.


Geodaten (unterhalb der eigentlichen Bergkuppe):

Beginn 1. Aufstiegs-Pfad:     N  49°  4,394´      O  7°  40,640´      Höhe: 268 m

Beginn 2. Aufstiegs-Pfad:     N  49°  4,574´      O  7°  40,888       Höhe: 298 m



 


Der Lindwurm vom Lindelskopf 

Vorzeiten, als es den Ort Ludwigswinkel noch nicht gab, lebten nur wenige Menschen in diesem malerischen Tal. Damals waren die Zeiten schwer. Die Leute arbeiteten hart von früh morgens bis spät in die Nacht. Und dennoch saß oft der Hunger mit am Tisch. 

Eines Tages ertönte ein Brechen und Knacken im Wald. Und als die erschrockenen Menschen dorthin schauten, kroch ein riesiger Lindwurm über die Bergkuppe. Seine Haut war gepanzert und glänzte wie Eisen. An seinen sechs schuppigen Beinen hatte er gefährliche Pranken mit messerscharfen Krallen. Sein Körper war lang und aufgebläht und sah aus wie der eines riesigen Sauriers mit messerscharfen Zähnen.

Der Lindwurm schaute mit gierigen roten Augen ins Tal hinab, stieß eine Feuerwolke aus und rief mit Donnerstimme: „Ich verlange von euch einen Sack Getreide und einen Sack Äpfel und Birnen. Dann tue ich euch ein Jahr lang nichts!“

Erschrocken sammelten die Leute das Getreide und Obst ein. Sie hätten es selbst bitter nötig gebraucht. Aber was sollten sie gegen einen übermächtigen Lindwurm machen?

Im nächsten Jahr wollte der Lindwurm außer dem Sack Getreide und dem Obst noch das größte Huhn im Dorf. Entsetzt brachten die Leute ihm auch dies.

Im dritten Jahr schaute der Lindwurm wieder über die Bergkuppe, blies einen Feuerschwall ins Tal und rief: „ In diesem Jahr will ich einen Sack Getreide, einen Sack Äpfel und Birnen, das größte Huhn im Dorf und die fetteste Gans!“

Die Menschen packte das Entsetzen. Jedes Jahr würde der gierige Lindwurm mehr verlangen. Und so kam es. In den nächsten Jahren mussten sie noch ein Schaf, eine Ziege und dann sogar die beste Kuh dazu geben.  Die Familien hungerten und waren verzweifelt. Sie mochten gar nicht an das nächste Mal denken. 

Aber der Tag kam. Unausweichlich wälzte sich der Lindwurm auf die Bergkuppe, züngelte mit seiner geschlitzten Zunge, spie eine Feuerwolke ins Tal und rief mit Donnerstimme: „Dieses Jahr will ich einen Sack Getreide, alles andere und dazu euer schönstes junges Mädchen!“ Die armen Leute sanken auf die Knie und flehten, dass er doch bitte, bitte nicht einen Menschen verlangen dürfe. Aber der Lindwurm schlug nur wütend mit dem Schwanz, so dass etliche Bäume abknickten und ins Tal geschleudert wurden. „Ich bringe euch alle um,“ drohte er, „wenn ihr nicht tut, was ich will! Ich will die schöne, junge Anni!“ 

Vor Verzweiflung waren die Menschen wie gelähmt. Sie überlegten hin und her, wie sie den Lindwurm umbringen könnten. Aber er war so riesig und so gepanzert, dass sie keinerlei Chancen hatten.

Schon wurde es Nachmittag, und es war noch keine Lösung in Sicht.

Da kam die Anni herzu und meinte: „Lasst mich nur gehen. Ich habe eine Idee.“ Damit packte sie ihren Korb und ging zum Pilze suchen. Die Leute waren fassungslos. Morgen würde die Anni von dem bösen Lindwurm gefressen werden, und heute ging sie noch Pilze sammeln! Sie verstanden die Welt nicht mehr.

Aber ein paar Stunden später war die Anni wieder da. Sie hatte ihren Korb von oben bis unten voller – Fliegenpilze und Knollenblätterpilze. Das sind die giftigsten, die es gibt. Dann verriet sie ihrer Familie ihren Plan. Ein Schaf wurde geschlachtet und mit den giftigen Pilzen gefüllt. Dann wurde es gebraten und auf den Wagen zu den anderen Opfergaben für den Lindwurm gelegt.

Am nächsten Morgen schmückte sich das Mädchen mit Blumen und zog ihr schönstes Kleid an. Sie war aufgeregt und ängstlich. Aber sie lief trotzdem entschlossen neben dem Opferwagen her. 

Dem Lindwurm lief vor lauter Gier der Speichel aus dem Mund. Mit blutunterlaufenen Augen betrachtete er das Mädchen und wollte sich gleich auf sie stürzen. Aber Anni meinte: „ Halt, nicht so schnell! Ich bin ja bereit zu sterben. Aber nur, wenn du mir die gebührende Hochachtung zukommen lässt!“ „Was willst du?“ knurrte der Lindwurm sabbernd. „Ich bin das Beste von deinen diesjährigen Opfergaben. Ich möchte, dass du erst die anderen, weniger guten Gaben frisst und dann erst mich! Zur Feier deines Festtages habe ich nämlich das Schaf für dich gefüllt und gebraten, so wie wir Menschen es an Festtagen essen. Probiere einmal!“

Dem Lindwurm stieg der Duft des gebratenen Fleisches in die Nase. So etwas hatte er noch nie gefressen. Er stürzte sich auf das gebratene Schaf und schluckte es mit einem Happs herunter. Anni war es zufrieden: „So. Zu dem Fleisch passt sehr gut das Getreide und das Obst.“ Sie schob ihm die Säcke zu, und der Lindwurm fraß sie schmatzend mitsamt dem Stoff. Sein erster Hunger war gestillt.  

Nun galt es, Zeit zu gewinnen. „Weißt du, lieber Lindwurm, dass hinter den Bergen genauso ein großer, starker und prächtiger Lindwurm lebt wie du?“ Das Untier riss erschrocken die Augen auf und funkelte sie böse an. Da fuhr sie schnell fort: „Aber es ist eine wunderschöne Lindwurmfrau. Sie hat herrliche blutunterlaufene Augen und fast so einen hübschen schleimigen Bauch wie du. Und wunderschöne lange, gelbe Zähne hat sie! Nein, nein, deine sind natürlich noch länger und noch gelber…“ Solche Geschichten gefielen dem Lindwurm. Diese Untiere sind nämlich nicht nur faul und gefräßig, sondern auch dumm. Er legte sich flach auf die Bergkuppe und gab sich seinen Träumen hin. Es dauerte nicht lange, da war er eingeschlafen. Er schnarchte fürchterlich.

Mit der Zeit wurden seine Atemzüge noch lauter und unruhiger. Ganz offensichtlich konnte er nur noch schwer Luft holen. Außerdem hatte er schlimme Bauchschmerzen.  Er wälzte sich hin und her und röchelte so sehr, dass Feuer und Schleim aus seinem Maul heraus liefen. Das Gift begann zu wirken. 

Die Menschen unten im Tal machten sich große Sorgen. Die Nacht war dunkel, und sie hörten nur das Rumoren und Stöhnen auf dem Berg und sahen den Feuerschein. Was wohl mit Anni passiert war?

Aber als das erste Morgenlicht den Himmel erhellte, wurde es still, und die Anni kam ihnen überglücklich entgegengerannt. Sie rief: „Der Lindwurm ist tot, der Lindwurm ist tot! Wir haben es geschafft! Der Lindwurm ist tot!“

„Nein, du hast es geschafft!“ antworteten alle. „Du bist nicht nur die Schönste unter uns, sondern auch die Mutigste und Klügste! Du hast uns gerettet!“ Sie hoben die Anni auf ihre Schultern und feierten ein großes Fest. 

Der tote Lindwurm aber blieb oben auf dem Berg liegen. Denn er war viel zu groß, um begraben werden zu können. Mit der Zeit versteinerten seine Knochen. Zuerst konnte man seine Körperform noch ganz genau erkennen. Aber im Laufe der Jahrhunderte bröckelten durch Sturm und Regen seine Panzerschuppen und schließlich auch viele Knochen ab.  

 


Wenn man heute von Ludwigswinkel aus hinüber zum Lindelskopf schaut, so kann man noch ein Loch im Kopf sehen. Dort war früher das Auge des Lindwurms. Friedlich und hohl schaut es nun über das Tal hinweg.

 


Angst und Schrecken sind lange, lange vergangen. Und vergangen ist auch die Erinnerung, warum dieser Berg „Lindelskopf“ heißt. Ursprünglich sagten die Leute nämlich „Lindwurmkopf“. Aber dann vergaßen sie die böse Geschichte und nannten den Berg einfach nur „Lindelskopf“. Und so heißt er auch heute noch.