Rösselsquelle bei Ludwigswinkel

 

 

 

 

 

     

Neben der Lichtung an der Rösselsquelle steht vorn am Waldsträßchen eine merkwürdig gewachsene Fichte. Ihre dicken Äste breiten sich nicht wie gewöhnlich aus, sondern  bilden tief durchhängende Bögen.

 

 

Geodaten der ca. 30 m entfernten Rösselsquelle:

N  49°  4,053´    O  7°  38,757

Höhe: 272 m



Der Schlafbaum der Waldschrate 

Früher, als es noch keine Autos gab, waren die Menschen ab und zu auch im Dunkeln zu Fuß im Wald unterwegs. Dabei trafen sie manchmal auf Naturgeister. Solche Begegnungen verliefen nicht immer erfreulich. 

Ein junger Mann fuhr im Winter mit seinem Ochsengespann in den Wald, um Holz zu holen. Da es ziemlich kalt war und die Arbeit hart, nahm er immer wieder einen kräftigen Schluck aus seiner Schnapsflasche. Alkohol wärmt, sagte er sich. Er trank und trank, bis die Flasche leer war. Seine Laune aber wurde nicht besser. Im Gegenteil, das Arbeiten fiel ihm jetzt erst recht schwer! Er murrte vor sich hin, beschimpfte seine Ochsen, den Wagen, das Holz… Er brachte und brachte nichts Rechtes zustande. Als er irgendwann doch noch alles aufgeladen hatte, wurde es schon dunkel. Trotzdem war sein Fuhrwerk immer noch nicht voll. Was sollte er zu Hause sagen? Dass er wieder einmal zuviel Schnaps getrunken hatte? Dann würden ihn seine Leute wie so oft einen „faulen Saufkopf“ nennen. Diesem Geschimpfe aber wollte er entgehen. 

Da sah er ein Stück weiter noch einen Holzhaufen. Sorgfältig zugesägtes Brennholz! Das hatte sein Nachbar schon ofenfertig klein gehackt. „Hm, da könnte ich mir später eine Menge Arbeit sparen!“ dachte der Tunichtgut. Er schaute sich vorsichtig um und lud dann schnell das fremde Holz auf. „Es ist ja schon dunkel, und mich sieht niemand mehr!“ dachte er sich. 

Dann machte er sich mit seinem Ochsengespann auf den Heimweg. Er hatte keine Laterne dabei. Aber zum Glück war es eine helle Nacht.


 

Bei der Lichtung an der Rösselquelle hörte er plötzlich ein Schnarchen. Das konnte doch nicht sein! War er denn so betrunken? Hörte er tatsächlich Schnarchen? Doch, ja, da schnarchte jemand! Eindeutig! Und nicht nur einer, sondern gleich viele! Chrrr… chrrr… chrrr… klang es im Chor aus der alten Fichte herüber.  

Der junge Mann stieg ab und lief hin. Er traute seinen Augen nicht: Dort oben im Baum saßen Zwerge! Mehrere grünbraune Waldschrate waren es! Das sind hässliche, schrumpelige Männchen mit wirren Haaren und schäbiger Kleidung. Sie saßen nicht wie Vögel in den Ästen, sondern schliefen gemütlich auf dem Rücken oder auf der Seite. Offensichtlich verbrachten sie immer die Nacht in diesem Baum. Denn durch ihr Gewicht hatten sich die Äste schon so durchgebogen, dass die Schrate wie in bequemen Hängematten lagen.

Ihre Gesichter waren alt und schrumpelig; gerade so wie verhutzelte Äpfel. Sie hielten ihre faltigen Augendeckel geschlossen und schnarchten gottserbärmlich laut vor sich hin. Dabei blähten sich ihre runden Knollennasen so weit auf, dass die Nasenflügel im Takt wackelten. Chrrr… chrrr… chrrr… 

War das ein Anblick! Einfach zu komisch! Der junge Mann konnte sich nicht beherrschen und prustete los. Erst gluckste er leise, dann aber lachte er immer lauter und schließlich schallend aus vollem Hals: „Hahaha, hoho, hahaha!“

Das aber hätte er nicht tun sollen! Augenblicklich schlugen die Schrate die Augen auf, sprangen wie von der Tarantel gestochen vom Baum herunter und stürzten sich auf den erschrockenen jungen Mann. Und ehe er sich´s versah, war ihm einer auf den Rücken gesprungen. Ein zweiter krallte sich an seinem Bauch fest. Der dritte hing sich an seinen rechten Arm und der vierte an den linken. Der fünfte aber nahm die Ochsenpeitsche und schlug ihm gegen die Beine.  „Hüh, hott!“ brüllte die Horde. „Los, Bürschchen! Renn mal ein bisschen! Nicht so faul! Nicht so langsam! Du wirst doch nicht einschlafen wollen?“ Höhnisch lachten sie und fuhren ihm dabei mit ihren langen Fingernägeln durchs Gesicht. „Los, Brüderchen, schneller, schneller!“

Der arme Bursche wusste nicht, wie ihm geschah. Voller Panik rannte er um sein Leben. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Sein Atem überschlug sich fast. Er bekam keine Luft mehr. Aber er rannte und rannte. Lieber wollte er tot umfallen, als nur eine Minute länger in der Gewalt von diesen unheimlichen Zwergen bleiben! 

Als er endlich das Dorf erreicht hatte, ließen die Waldschrate von ihm ab. Sie sprangen herunter und verschwanden. Doch ihr höhnisches Lachen tönte noch lange nach. 

Das Ochsengespann kehrte allein zurück. Alle Rinder und Pferde kennen ihren Heimweg genau. Doch der junge Mann hatte in seiner Panik das Hoftor fest verschlossen. Also standen die Ochsen davor und muhten um Einlass. Sie wollten in ihren Stall. Der Bursche drinnen aber schlotterte immer noch vor Angst. Er traute sich nicht mehr hinaus. So brüllten die Ochsen lauter und lauter. Die ganze Nachbarschaft wurde wach. Und was sahen die Leute dort auf dem Wagen? Einen Berg frisch gesägtes Holz, das dem jungen Mann nicht gehörte! Er war als Holzdieb ertappt! Wie schlimm für ihn und wie peinlich! 

So haben die Waldschrate am Ende sogar noch etwas Gutes getan. Der junge Mann hat jedenfalls nie mehr zuviel Schnaps getrunken. Und gestohlen hat er erst recht nicht mehr! 

Die Waldschrate aber schlafen noch heute in dem Baum.