Fels am Hohe-List-Weg, Zigeunerfels und Fels bei Fischbach

(Geschrieben 2018)

 

Tatsächlich, es gibt Riesen-Zwerge. Nicht viele. Aber einen. Der steht versteinert in der Nähe der Eselssteige. Spaziergänger, die vom Parkplatz aus zur Pfälzerwald-Hütte Hohe List laufen wollen, können den normalen Weg nehmen oder einen, der zwischen Eselssteige und Parkplatz zunächst leicht nach unten führt. Dort kommt man nach ein paar hundert Metern zu einigen Felsen. Einer auf der rechten Seite ist hoch und schmal, fast dreieckig.

 

  

„Kein Riesen-Zwerg“ denkt man. Doch wenn man vorbeigeht und sich dann umdreht, erkennt man ihn sofort. Da steht er, der Riesen-Zwerg, beugt sich über den Weg und lächelt einen freundlich an.


 

Gundulas Kopf findet ihr mitten im Wald zwischen dem alten Zwergenschloss und dem Hohlweg der Zwerge am Fuße eines hohen Felsens. Sie schaut immer noch so gutmütig und freundlich drein wie früher. Nur ihre Nase ist beim Kugeln durch den Wald ein bisschen platt gedrückt worden. Aber Riesen müssen ja nicht schön sein.



Geodaten

Zigeunerfels: N  49°  7,139´      O  7°  38,707´


Der Riesen-Zwerg von der Hohen List und

die Riesin Gundula vom Zigeunerfels


Vor vielen, vielen Jahren lebte auf der Hohen List die junge Riesin Gundula. Sie war nicht so hübsch wie junge Menschenfrauen. Aber das ist bei Riesen normal. Sie hatte einen dicken Körper ohne Taille  und ein grobes, aber gutmütiges Gesicht. Nur ihre langen Beine waren schlank und wohl geformt.

Auf denen lief sie in Riesenschritten über die Höhen durch den Wald und hielt Ausschau. Ausschau nach einem jungen Riesen, den sie heiraten könnte. Aber von denen, die sie traf, gefiel ihr keiner. Der eine war ein primitiver Rüpel, der andere ständig missgelaunt und der dritte zu dumm. Nein, diese Kerle wollte sie nun wirklich nicht!

 

Der einzige, der nett und freundlich war und mit dem sie sich gern unterhielt, war ein Zwerg. Er war zwar recht klein, viel kleiner als Menschen. Aber er war schlau und freundlich und hatte immer ein gutes Wort für sie. Ja, diesen Zwerg wollte sie heiraten.

Doch als sie ihm ihren Wunsch eröffnete, erschrak der sehr: „Nein, liebe Gundula, das geht doch nicht! Schau mal, wie klein ich bin. Eine Riesin und ein Zwerg passen wirklich nicht zusammen. Du brauchst doch einen großen, starken Riesen-Mann!“

 

Gundula war unglücklich. Ausgerechnet ihr einziger Freund, der Zwerg Hugo, wollte sie nicht! Aber dann fiel ihr etwas ein. Riesen können nämlich ein paar Dinge, die andere nicht können. Zum Beispiel zaubern. Leider nur ein bisschen. Sie können sich und andere in Felsen verwandeln und sie können Dinge größer zaubern, als sie sind. Umgekehrt aber nicht. Also muss jede Zauberei gut überlegt sein.

 

Gundula dachte nach. Es gab nur einen Ausweg: Sie musste den Zwerg Hugo größer zaubern. Also schlich sie heimlich zu ihm hin und murmelte ihren Zauberspruch: „Hugo-Schatz, jetzt geht es los. Ab heute bist du riesengroß!“

Hugo riss vor Schreck die Augen auf. Plötzlich war er so groß wie ein halber Baum. Er schaute an sich hinunter und … und … schrie vor Entsetzen auf: „Mensch, Gundula, was hast du mit mir gemacht? Ich will kein Riese sein. Ich will ein Zwerg bleiben. Zaubere mich sofort zurück!“

Aber Gundula musste zugeben, dass sie das nicht konnte. „Ich will dich doch heiraten!“ bettelte sie.

Hugo war verzweifelt. Er starrte sie voller Schrecken an und rannte dann weg. Mit seinen neuen langen Beinen konnte er so schnell rennen, dass selbst Gundula nicht hinter ihm her kam. Also rief sie ihm ihren Zauberspruch hinterher, mit dem sie Dinge in Felsen verwandeln konnte: „Halt! Halt! Hart wie Stein sollst du jetzt und immer sein!“

Schlagartig stand Hugo still. Er hatte sich in einen Felsen verwandelt.

 


Nun stand er dort am Weg, war ein Felsen und starrte verblüfft vor sich hin.

Gundula erschrak sehr. Was hatte sie da angerichtet! Sie war verzweifelt. Denn plötzlich tat ihr der liebe Hugo leid. Sie umschlang seinen harten, kalten Felsenkörper mit ihren Armen und weinte. Sie weinte sehr, aber es war zu spät. Sie konnte ihren Zauberspruch nicht ungeschehen machen.

 

Plötzlich hörte sie tief aus dem Inneren von Hugos Felsenkörper seine Stimme: „Ist schon gut, Gundula! Höre auf zu weinen und geh nach Hause. Ich bleibe hier stehen und passe von nun an auf die Wanderer auf, die hier vorbei kommen. Das macht mir auch Spaß. Es ist alles gut!“

 

 

Da hörte Gundula auf zu weinen und lief zurück zu ihrem Zigeunerfelsen.

 

In den folgenden Jahren fühlte sie sich immer mehr allein. Außerdem plagte sie das schlechte Gewissen Hugo gegenüber. Sie hatte ihren einzigen echten Freund in einen Felsen verwandelt! Das konnte sie sich nie verzeihen.

So entschloss sie sich eines Tages, auch sich selbst in einen Felsen zu verwandeln. Feierlich rief sie: „Ich will nicht mehr die Riesin sein. Ich werd´ wie Hugo hart wie Stein!“ Und wumm, schon war sie ein Felsen. Starr und steif und für alle Zeiten steinhart stand sie nun da.

So stand sie viele, viele hundert Jahre lang. Langsam verwitterte ihr Felsen und bröckelte ein bisschen ab. Das gefiel ihr gar nicht. Hinzu kam, dass sie nicht mehr über die Berge und Höhen rennen konnte. Immer nur ruhig stehen zu bleiben, nein, das war nichts für sie!

 

Eines Tages machte eine Familie mit Kindern bei ihr Rast. Die Buben hatten einen Ball dabei und spielten ausgelassen. Plötzlich rollte der Ball den Hang hinunter. Immer weiter und weiter. Er machte dabei Riesensprünge und kullerte und kullerte. Sogar nach einer ganzen Weile hörte ihn Gundula in der Ferne immer noch durch den Wald rollen und hüpfen.

Die Kinder waren erst traurig. Aber ihre Eltern meinten, der Ball hätte bestimmt Spaß bei seinem weiten Ausflug – und sie bekämen zu Hause einen neuen.

 

In der folgenden Nacht fasste Gundula einen Entschluss. Sie wollte endlich mal wieder etwas erleben und sich bewegen. Wenn sie feste mit ihrem Felsenkopf wackelte, würde der vielleicht ein bisschen locker. Er könnte abfallen und wie der Ball den Berg hinab durch den Wald rollen.

Gesagt, getan. Sie ruckelte und zuckelte mit ihrem Kopf und versuchte, hin und her zu wackeln. Ganz plötzlich tat es einen Riesendonnerschlag und ihr Felsenkopf fiel von ihrem Körper herunter. Da er fast so rund war wie eine Kugel, rollte er über den Weg und sprang wie ein Ball mit viel Schwung den Hang hinunter. Er hüpfte und dotzte und kullerte immer weiter. Nichts konnte ihn aufhalten. Gundula fühlte sich plötzlich wieder frei und beweglich. Sie jubelte laut: „Ich springe, springe und ich singe! Endlich bin ich wieder froh! Kuller-kuller und hoho!“

 

Ihr Kopf rollte weiter und weiter, fast bis nach Fischbach. Langsam wurde es Gundula schwindlig. Sie hatte genug und schaute nach einem Platz aus, wo sie von nun an leben wollte. Ein großer Felsen in der Nähe des alten Zwergenschlosses gefiel ihr. Hier wollte sie bleiben. Sie stoppte abrupt und ruckelte sich zurecht. Ja, das war ein schöner Platz! Von hier aus konnte sie in ein kleines Waldtal schauen und sogar den alten Hohlweg der Zwerge beobachten. Hier gefiel es ihr. Hier wollte sie die nächsten paar hundert Jahre bleiben!

 

Oben am Zigeunerfelsen blieb ihr Körper mit den Beinen zurück. Zunächst konnte man noch erkennen, dass das einmal Gundulas riesiges, dickes Bäuchlein war.



Aber mit der Zeit verwitterte der Felsen immer mehr. Irgendwann sah der Felsen nur noch aus wie ein normaler Felsen.

Doch wenn ihr genau hinschaut, dann seht ihr, dass dieser Bauch mit Beinen ganz langsam wieder ein Gesicht bekommt. Erkennt ihr die Nase und den Mund?

 


Pst, verratet aber nichts! Denn ihr wisst jetzt, dass nicht nur Riesen, sondern auch Riesenbäuche zaubern können. Aber nur gaaanz, gaaanz laaangsaaam. Schaut doch mal nach, ob ihr das neue Gesicht schon erkennen könnt!


 

Diese Geschichte widme ich Heidi Groh. Sie hat mir wegen dieser Geschichten ein ganz reizendes Kompliment gemacht.